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Trennt die Führungsrollen!

Dr. Stefan Barth
| Chief Operating Officer, Qvest Digital AG
Veröffentlicht 2. Oktober 2023

Tauchen wir gemeinsam in eine neue Perspektive der Führungsdynamik in Unternehmen ein! Es geht darum, verschiedene Führungsrollen zu differenzieren, um die Organisation effizienter und flexibler zu gestalten. Ein behutsamer und schrittweiser Ansatz ermöglicht individuelle Entfaltung und optimiert das Potenzial der Führungskräfte. Eine transformative Reise durch unsere Organisation steht bevor.

Als ich beschloss, einen Artikel zu diesem Thema zu schreiben, rechnete ich nicht damit, dass ich offensichtlich erst einmal erklären muss, worum es überhaupt gehen soll. Die Recherche zu den Begriffen “Führungsrolle”, “Führungsdimensionen” und auch “Führungstypen” ließ mich jedoch auf ein Potpourri an unterschiedlichen Begriffsverständnissen treffen.

Die Schwierigkeit entsteht meines Erachtens dadurch, dass häufig keine saubere Trennung von Führungsverhalten und inhaltlichem, situativem Kontext der Führung besteht. So finden wir unter “Führungsdimension” oder auch “Führungsrolle” sowohl rein verhaltensorientierte Erläuterungen (autoritäre Führung, partizipative Führung, etc.) als auch inhaltliche Umschreibungen (aufgabenorientierte Führung, disziplinarische Führung, etc.). Tatsächlich lassen sich sogar Quellen identifizieren, die Korrelationen dazwischen herstellen. So wird die aufgabenorientierte Führung als Führungsstil deklariert, der dann gleichzeitig eine Vernachlässigung der zwischenmenschlichen Komponente der Führung impliziert (z.B. [1]).

Ich möchte hingegen nicht über Führungsverhalten sprechen. Ich möchte mich auf die unterschiedlichen inhaltlichen Dimensionen von Führung beziehen, wenn ich über Führungsrollen rede. Damit meine ich die Themenblöcke, in denen ich als Führender den Geführten Orientierung oder Anleitung gebe. Dies ist losgelöst von der Frage, wie ich diese Führung konkret ausübe.

Um das Ganze greifbarer zu machen, seien hier ein paar konkrete Beispiele genannt. Ich nehme eine Führungsrolle wahr, wenn ich:

  • fachliche Führung (fachliche Anleitung, Priorisierung, Arbeitsorganisation),
  • disziplinarische Führung (Ausübung der juristischen Rolle des Arbeitgebers),
  • menschliche Führung (Entwicklung von Sozialkompetenzen, Anleitung zur fachlichen und beruflichen Entwicklung),
  • oder strategische Führung (Visionsvermittlung, Zielableitung, Sinngebung)

ausübe.

Ob dieser Schnitt in dieser speziellen oder einer anderen Form sinnvoll ist, spielt hierbei nur eine nachgelagerte Rolle. Wichtig ist das Verständnis dafür, dass es unterschiedliche, inhaltliche Kontexte gibt, im Rahmen derer ich eine Führungsrolle einnehmen kann.

Welches Problem löse ich damit?

Jetzt wo die Begriffe geklärt sind, kann ich mich dem eigentlichen Thema dieses Artikels zuwenden: der Trennung der Führungsrollen. Was soll das heißen?

Zunächst einmal mutet es nach einem rein akademischen Bestreben an. Ich zerlege den Begriff der Führung in verschiedene “Führungen” je nach thematischer Ausrichtung der Orientierung und Anleitung, die ich als Führungskraft gebe.

Im klassischen Bild übernimmt eine Führungskraft im Zweifelsfall alle Rollen. Er ist Visionär, Stratege, Coach, Prozessspezialist und überhaupt fachlich brilliant. Dass dies eine Herausforderung für einen Menschen ist, dessen wurde man sich bereits vor 100 Jahren gewahr [2].

Diesem Problem lässt sich dadurch Herr werden, dass ich die Überlegung zulasse, unterschiedliche Führungsrollen durch unterschiedliche Menschen abzubilden. Auch diese Idee ist nicht neu und hat in verschiedensten, aktuellen Organisationsmodellen expliziten Niederschlag (z.B. [3]) gefunden oder findet eher implizit Abbildung (z.B. [4] oder [5]).

Die unmittelbar anschließenden Fragen sind: Warum sollte ich das tun, die Trennung der Führungsrollen? Und, damit eng korreliert, eine meiner Lieblingsfragen: Welches ist das Problem, das ich damit löse?

Die lösbaren Probleme ergeben sich manchmal von selbst

Ich selber habe die Erfahrung gemacht, dass es möglich ist, einen ersten Schritt in diese Richtung - der Aufsplitterung der Führung - aus einem sehr pragmatischen, problemlösungsorientierten Ansatz heraus zu gehen.

Bei uns stellte sich 2014 die Herausforderung, dass es uns schwer fiel, bei akutem Kundenbedarf bereichsübergreifende Entwicklungs­teams zu bilden, weil die verantwortlichen Führungskräfte versuchten, mit Blick auf die aktuelle Sales Pipeline die Hand auf Schlüsselmitarbeiter zu legen.

In dieser durch Individualinteressen belasteten Struktur war eine effiziente und effektive Personaldisposition faktisch nicht möglich. So entschieden wir, diesen Prozess im speziellen und alle anderen Prozesse, die abteilungsübergreifend wirkten, aus der Führungsverantwortung der Entwicklungsleiter heraus zu lösen und in Teamkonstellationen zu verankern. In diesen Teams waren die Entwicklungsleiter durchaus vertreten, aber eben nicht mehr als Alleinentscheidende über den Einsatz spezifischer Personen. Bereichsbudgets gab es damit als einer der Nebeneffekte auch nicht mehr, sondern nur ein Budget für die gesamte operative Organisation. Die fachliche Verantwortung für die erbrachte Leistung gegenüber den Kunden wurde in die Entwicklungs­teams verlagert (wo sie faktisch, wenn auch nicht offiziell, sowieso schon lag).

Dieser Veränderungsprozess war für die Führungskräfte nicht leicht. Da sie in der Wahrnehmung aller nun übergreifenden Aufgaben involviert waren, wurden sie gezwungen, als Team zusammen zu arbeiten. Gleichzeitig - und das war etwas, was mir persönlich sehr wichtig war - hatten sie die Möglichkeit, sich nach ihrer individuellen Kompetenz auf Teilaspekte der gesamthaft wahrzunehmenden Verantwortung zu konzentrieren. Es gibt einfach Menschen, die in Führungsrollen gerutscht sind und denen bestimmte, klassisch damit verbundene Verwaltungsaspekte (wie z.B. das Budgetmanagement) mehr liegen als anderen. So konnte sich ein Subteam mit Budgetmanagement, ein anderes mit Personaldisposition, ein drittes mit der Entscheidung zur Einführung von neuen Tools beschäftigen.

Tatsächlich war dies erst der Anfang der Entwicklung der Führungsrolle in unserem Hause. Von einer echten Trennung der Führungsrollen konnte noch keine Rede sein, da tatsächlich die übergreifenden Themen ja noch vielfach (jedoch nicht alle!) im Führungsteam als solchem verankert blieben - wenn auch nicht auf individueller Ebene. Aber ein erster, spürbarer Schritt zur Auflösung der klassischen, allumfassenden Führungsrolle war getan.

Als greifbares Beispiel für einen sinnstiftenden Startpunkt soll die Darstellung bis hierhin aber zunächst genügen. Zu einem späteren Zeitpunkt komme ich auf die Ausprägung der Führungsrolle, wie sie sich derzeit bei uns darstellt, zurück.

Der Nutzen ist überwältigend

Verändern wir die Perspektive und blicken darauf, was mit einer echten Trennung der Führungsrollen erreicht werden kann. Dessen wurde ich mir auf dem jetzt folgenden Abstraktionsniveau erst nach Jahren gewahr, weil sich die Effekte erst ganz allmählich, Schritt um Schritt einstellten.

Ich versuche die Nutzeneffekte in drei große Komplexe zusammen zu fassen. Der eine ist die Wertstromorientierung, der zweite die lernende Organisation, der dritte die Erhöhung der Adaptionsfähigkeit.

Wertstromorientierung

Mit der Vereinfachung der Personaldisposition, wie zuvor dargestellt, taten wir nichts anderes, als eine Maßnahme umzusetzen, die den Wertstrom in unserer Leistungserbringung optimierte. Jede prozessorientierte Führung, die ausschließlich eine eigeninteressengetriebene, lokale Optimierung für einen Teilbereich des Wertstroms durchführt, schadet dem Gedanken einer gesamthaften Optimierung des Kundenerlebnisses. Bei einer so verorteten Führungsverantwortung liegt die Prozessverantwortung orthogonal zum Wertstrom und folgt ihm nicht.

Das Ergebnis stellt sich durch Prozessschnittstellen zwischen Abteilungen dar, die aus mehreren Gründen zu einem verschlechterten Kundenerlebnis führen. An dieser Stelle möchte ich nur zwei nennen.

  • Die Schnittstellen sind in unseren komplexen, veränderlichen Welt nie vollständig sinnhaft beschrieben. Für Dinge, die passieren, aber keine Abbildung finden, fühlt sich niemand verantwortlich und das Schwarze Peter Spiel beginnt.
  • Die Ziele, nach denen eine prozessverantwortliche Führungskraft ihre Prozesse gestaltet und die Durchführung priorisiert, sind zwischen den Abteilungen i.d.R. nicht geschlossen abgestimmt. Das führt dazu, dass in Abteilung A der Vorgang Z schneller bearbeitet wird, als in Abteilung B. An der Schnittstelle entsteht automatisch Stau.

Man könnte das klassische Konzept beibehalten, wenn es gelänge, den gesamten Wertstrom unter einer Führungsperson (ohne Substrukturen) abzubilden. Die Führungsspanne wäre in diesem Fall aber i.d.R. viel zu groß.

Aus meiner Perspektive ist somit die Trennung der fachlichen Führungsaspekte im Sinne der prozessorientierten Führung von der menschlich-disziplinarischen Führung eine notwendige Voraussetzung für eine echte Wertstromoptimierung. Der Schritt in dieser Richtung ist genau das, was eigentlich getan werden muss, wenn in Führungskreisen von dem „Niederreißen von Silos“ gesprochen wird.

Lernende Organisation

Die Kombination aus der Wahrnehmung fachlicher Führung, damit einhergehender fachlicher Verantwortung für Teilleistungen und disziplinarisch-menschlicher Führung schränkt die Entwicklungsmöglichkeiten der Mitarbeiter der Organisation ein. Die Ursache hierfür besteht darin, dass die Führungskraft permanent ein Paradoxon zu bewältigen hat.

Einerseits muss sie mit ihrem Team der fachlichen Verantwortung im Prozess gerecht werden. Dazu benötigt sie ganz spezifische Grundfähigkeiten in ihrem Team, die entwickelt und gestärkt werden müssen. Was ist aber nun, wenn ein Mitarbeiter da zwar im Regelgeschäft mithalten kann, seine tatsächlichen Neigungen und sein Potenzial jedoch an ganzer anderer Stelle verborgen liegen? Wenn die Führungskraft dies erkennt und fördert, verlässt der Mitarbeiter mittelfristig das Team, welches operativ geschwächt wird. Wir kennen alle die Situation, dass Nachbesetzungen dann im Zweifelsfall zeitnah gar nicht möglich sind.

Unterdrückt er die Entwicklung des Mitarbeiters bleibt sein Team und die fachlichen Ergebnisse stabil. Auch wenn die Potenziale des Individuums der Organisation so verborgen bleiben und das Gesamtsystems entsprechend nicht davon profitiert, entspricht dies nach meiner Erfahrung dem typischen Verhalten der Führungskraft. Zumal die fachlich verantwortliche Führungskraft sich zumeist betriebsblind hinsichtlich anderer Kompetenzen ihrer Mitarbeiter zeigt, die keinen Nutzen zur Bewältigung der anstehenden Aufgaben entfalten.

Werden die Führungsrollen - fachlich-prozessual und menschlich-disziplinar - getrennt, wird das Paradoxon zwar häufiger auftreten (weil die menschlich-disziplinarische Führungskraft es als ihren Auftrag betrachtet, die Fähigkeiten ihres anvertrauten Mitarbeiters gesamthaft zu entwickeln), die Auflösung dessen jedoch durch die Auseinandersetzung zwischen den verschiedenen Rollenvertretern auch diskursfähig. Die Weiterentwicklung der Mitarbeiter bekommt ein ganz anderes Gewicht.

In unserer Organisation gibt es vielfältige Beispiele für die Weiterentwicklung von Menschen, die von der Trennung der Führungsrollen profitiert haben. Wir haben den Vertriebsmitarbeiter, der nun Scrum Master, Agile Coach und People Lead ist, den Controller der zum Scrum Master wurde, die Vertragsmanagerin, die nun als Accountmanagerin wirkt. Der Nutzen für das Unternehmen ist gewaltig.

Erhöhung der Adaptionsfähigkeit

Weniger greifbar, jedoch ursächlich ganz klar damit verbunden, geht eine Erhöhung der Adaptionsfähigkeit mit einer Trennung der Führungsrollen einher.

Treiben wir die Entwicklung der Trennung der Führungsrollen auf die Spitze, so wird die Führung in einer Organisation zu dem, was in der von mir gewählten Terminologie bereits angedeutet wird: zu einer Rolle. Diesen Begriff wähle ich in Abgrenzung zu Wahrnehmung von Führung in Form eine Führungsposition. Die Position habe ich stets inne, die Rolle nehme ich mal wahr, mal nehme ich sie nicht wahr. Die Führungsposition ist mit einer komplexen Rollenbeschreibung, die faktisch viele Rollen zusammenfasst, umrissen und bindet mich daran, für all diese Rollen, ob ich es nun kann oder nicht, Verantwortung zu übernehmen. Dies ist im Kern die Ursache für Stakeholdertum. Mit dem Verständnis von Führung als thematisch differenzierte Rolle legen wir die Grundlage dafür, Stakeholdertum hinter uns zu lassen und erhöhen die Fähigkeit jedes einzelnen, situativ Verantwortung zu übernehmen, wenn es nötig ist.

Im Ergebnis wird dadurch die Adaptionsfähigkeit der Organisation signifikant gesteigert.

Unser (vorläufiges) Endergebnis in der Praxis

Bei uns in der Organisation sind wir an diesem Punkt angekommen. Ich bin Projektmitarbeiter, interner Berater, Prozessanalyst, Coach, Content Creator im Marketing, Vortragender, Organisationsentwickler und manchmal auch Vorstand. Auch wenn ich gelegentlich die Führung übernehme und ich in expliziten Kontexten die Führungsverantwortung habe, nehme ich sie niemals dirigierend war (was eher eine Frage des Stils ist) und gebe sie auch situativ gerne ab (worin sich wiederum die Rolleneigenschaft spiegelt).

Unsere ehemaligen Abteilungsleiter haben sich entweder in fachliche Rollen oder menschlich-disziplinarische Führungsrollen entwickelt. Diejenigen, die die menschlich-disziplinarische Rolle wahrnehmen, wir nennen sie People Leads, nehmen darüber hinaus auch andere Rollen war. Sie sind Product Owner oder Scrum Master im Kundenprojekt, wirken im Marketing, begleiten den Recruiting-Prozess und die Mitarbeiterentwicklung auf konzeptioneller und/oder operativer Ebene. So haben sie wenigstens zwei Rollen, wovon eine eben eine Führungsrolle ist. Genauso verhält es sich bei denjenigen, die sich eine fachliche Führungsrolle zuschreiben.

Wir sind anders sozialisiert

Das klingt alles außerordentlich vielversprechend. Der Weg dahin war jedoch steinig und zur Erreichung des aktuellen Zustands benötigten wir in unserer mittelständischen Organisation nahezu 10 Jahre.

Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass wenn ich mich von einer tradierten Führungsgestaltung abwende und einen solchen Schritt durchführe, wie die Trennung der Führungsrollen, so stellt dies nicht nur eine projektartige steuerbare Veränderung dar, sondern eine Transformation im reinsten Sinne des Wortes [6].

Die allumfassende Führungsrolle ist etwas, was wir von kleinauf kennen. Unsere Eltern, die Lehrer, die Professoren an der Hochschule, der Ausbildungsleiter - wir sind gewohnt zentrale Personen in unserem Umfeld zu akzeptieren, die in mehrerlei Hinsicht Autorität ausüben und dazu tendieren, uns in unserer Autonomie einzuschränken. Die Perspektive einer Differenzierung von Führung muss sich ebenso entwickeln wie die das Bewusstsein einer Entkopplung von Führung und Titeln und Führung und Machtausübung. Die Ausübung von Führung muss als ausschließliche Ausübung von anerkannter, thematischer Kompetenz wahrgenommen werden: zwischenmenschlich, fachlich, prozessual, strategisch.

Dieser Veränderungsprozess ist sowohl strukturell als auch persönlich nicht leicht. Sichtbare Ränge und Titel geben uns Orientierung, ohne diese werden wir stärker auf uns selbst zurückgeworfen und müssen mehr Verantwortung für unser Handeln übernehmen. In der sich herausbildenden Struktur differenzierter Führung ist dies aber ein subjektives Gefühl, denn Orientierung wird jedem in jeder Hinsicht gegeben. Nur eben nicht von der einen Schlüsselfigur, in deren Abhängigkeit man sich begibt.

Die Organisation muss reif genug sein

Bevor die Trennung der Führungsrollen in einer Organisation angestrebt wird, ist es daher wichtig, dass bereits eine intensive Auseinandersetzung mit differenzierter Führung stattgefunden hat und dementsprechend ein gereiftes Verständnis von Führung entwickelt wurde.

Ich bin gar kein Freund des bereits angedeuteten Ansatzes von McKinsey [3], die Auftrennung der Führungsrollen sozusagen als Initialzünder für eine Transformation zu nutzen. Die Berater schlagen vor, die Führung in zwei Aspekte aufzutrennen, einen, der für das “Was” - die “Delivery” verantwortlich zeichnet, und einen für das “Wie” - die “Capabilities”.

Der Reiz, der von dieser Idee ausgeht, ist nachvollziehbar: Auch wenn, wie bereits gesagt, es fern von sinnvoll ist, so kann doch dieser Schritt im Rahmen eines überschaubaren, internen Projekts sichtbar implementiert werden. Die Systeme, die die diesen Weg verfolgt haben und in denen die notwendigen Voraussetzungen im Hinblick auf das Führungsverständnis nicht bestanden, weisen nach meiner Beobachtung typischerweise folgende, innere Herausforderungen auf:

  • Die Aufsplittung zwischen den beiden Führungsrollen ist fern von trivial, da die Kompetenzen insbesondere für die menschlich-disziplinarische Führung fehlen (was maßgeblich im “Capability”-Management verankert ist). Organisationen mit einer klassisch ausgeprägten Führung weisen die Eigenschaft auf, dass Führungsverantwortung den Menschen eher zukommt, die fachlich und analytisch hervorstechend sind. Zwischenmenschliche Kompetenzen sind eher von geringerer Bedeutung. Damit es einfach bleibt, wird aber in der Transformation das neue Führungsteam aus dem alten geschöpft - Ränge und Titel müssen ja erhalten bleiben. Diejenigen, die sich auf der “Wie”-Seite der Führung wiederfinden und eigentlich nach ganz anderen Kriterien für ihre vorherige Führungsrolle ausgewählt wurden, stehen dann vor einer massiven, persönlichen Entwicklungsherausforderung.
  • Das operative Verhältnis der beiden Führungsrollen wird nicht hinreichend geklärt. Es entstehen Führungssilos - insbesondere, weil die klassisch geprägte “Was”-Führungsrolle den Sinn der anderen Führungsrolle gar nicht erfasst und demgemäß wenig Austausch und Reflektion sucht.
  • Die Mitarbeiter, gewohnt nach “Was”-Kriterien geführt zu werden, sind ebenso desorientiert. Die vormalige Führungskraft, jetzt ihre “Was”-Führungskraft, soll nun ergänzt werden um eine weitere Führungskraft? Es stellt sich die Frage, was die Auseinandersetzung mit diesem neuen Menschen tatsächlich bringt.

Sanfter Anfang mit viel Zeit

Wie der beste Einstieg in eine Trennung der Führungsrollen aussieht, hängt letztlich immer an den individuellen Ausprägungen des jeweiligen Systems ab. Es lassen sich aus meiner Perspektive aber einige Ratschläge geben.

  • Vermeidet radikale Schritte (wie die Einführung des Helix-Modells). Beginnt damit, einzelne Aufgaben aus der Individualverantwortung der Führungskräfte zu trennen und Teamverantwortungen zu formulieren. Dies betrifft dann zunächst einen kleinen Kreis von Führungskräften, die so langsam an eine “Entkleidung” ihrer vollumfänglichen Führungsaufgabe gewohnt werden. Für die Mitarbeiter kann dieser Schritt nahezu geräuschlos verlaufen.
  • Ist die Verantwortung für eine Aufgabe einmal im Team verankert, stellt sich schnell heraus, wer motiviert und leistungswillig ist, die Aufgabe voranzutreiben - und wer eben auch nicht. So kristallisieren sich erste Differenzierungen in der Wahrnehmung von Führungsrollen ganz natürlich über die Teamdynamik heraus.
  • Wählt die Aufgaben, die im Führungsteam sozialisiert werden, danach aus, wo ihr die größte Silobildung zwischen den Verantwortungsbereichen der Führungskräfte beobachtet (in unserem Fall war es die Personaleinsatzplanung).
  • Gebt dem System Zeit!

Die beste Version deiner selbst

Ich möchte diesen Artikel mit einem Plädoyer an die Führungskräfte beenden. Auch wenn auf den ersten Blick mit der Trennung der Führungsrollen individuelle Verantwortung in der Gesamtorganisation verloren geht, so wird dieser Verlust überkompensiert. Er wird dadurch überkompensiert, dass mit der Abgabe von Aufgaben und Verantwortung die Frage in den Raum rückt, was ich selber mit der größten Freude und damit der größten Wirkung zum Unternehmensgeschehen beitragen kann. Raum für Entfaltung ist in der Organisation durch das Aufbrechen der Silos im Zuge der Trennung der Führungsrollen mehr als genug da!

Gefangen im Tagesgeschäft mit seinen Regeltätigkeiten, Meetings und Positionskämpfen sind wir gar nicht mehr gewohnt, uns diese Frage zu stellen. Selbst im Privatleben setzen wir uns selten mit der Überlegung auseinander, was uns wirklich gut tut und worin wir wirklich gut sind. Diese mangelnde Gewöhnung an Selbstreflexion lässt es daher unglaublich anstrengend erscheinen, sich damit zu beschäftigen.

Stellt man sich jedoch dieser Herausforderung, so werden schlummernde Potenziale geweckt. Ich für meinen Teil konnte durch die Auftrennung der Führungsrollen und die so möglich werdende Verteilung der Verantwortung meinen Arbeitstag über die Zeit immer wieder mit neuen Themen ausfüllen, die mich reizten. Ich arbeitete im Projekt mit, entwickelte interne Systeme, betrieb Organisationsentwicklung und - nicht zuletzt - gewann die Zeit, lange Artikel zu schreiben!

Als Vorstand bewege ich mich im Alltag nicht mehr im Hamsterrad operativer Notwendigkeiten, kurzfristiger Entscheidungen und externer Zwänge. Und so glaube ich, dass ich langsam die Version meiner selbst auspräge, die einerseits den größtmöglichen Wert für das Unternehmen stiftet, den ich beitragen kann, und andererseits meinen Neigungen und Fähigkeiten am besten entspricht - der besten Version meiner selbst.

Quellen

[1] Brückner, Benjamin, “Moderne und klassische Führungsstile vorgestellt”, 2020, abgerufen am 18.9.2023, 11:00 MEZ, https://www.fuer-gruender.de/blog/fuehrungsstile/#:~:text=Aufgabenorientierter Führungsstil%3A Der aufgabenorientierte Führungsstil,um das zu erreichende Leistungsziel.

[2] Metcalf, Henry C.; Urwick, L., “Dynamic Administration - The Collected Papers of Mary Parker Follett”, Sir Isaac Pitman and Sons LTD, London, 11. Auflage, 1965

[3] De Smet, Aaron; Weerda, Kirsten, “The helix organization”, McKinsey Quarterly, 10/2019, https://www.mckinsey.com/capabilities/people-and-organizational-performance/our-insights/the-helix-organization

[4] SAFe, https://scaledagileframework.com/business-agility/, Version 13.7.2023

[5] unFIX, https://unfix.com/structural-pattern, abgerufen am 25.9.2023, 09:46 MEZ

[6] Haas, Oliver; North, Klaus; Pakleppa, Claus-Bernhard, “Transformation”, Verlag Franz Vahlen München, 2022