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Retro mal anders!

Maria Stohn
| Agile Coach & Scrum Master, Qvest Digital
Veröffentlicht 29. Juli 2019

Die Retrospektive in Nichtentwickler-Teams

Wer heutzutage in der agilen Softwareentwicklung arbeitet kommt um die regelmäßige Teilnahme an einer Retro nicht mehr herum. Das ist auch gut so, finde ich, und moderiere als Scrum Master sehr regelmäßig die Retros meiner eigenen Teams, aber auch gern mal in Vertretung die anderer.

Was aber, wenn es plötzlich kein Entwicklungsteam mehr ist, welches die Retro durchführen möchte?

Ich habe im letzten Jahr die Moderation einer Retrospektive übernommen, die mir im Vorfeld viel Kopfzerbrechen bereitet hat.
Eine höchst heterogene Gruppe aus Geschäftsführern, Division Managern, Location Managern und teils deren Vertretern, die für ihren damaligen Lenkungsausschuss (LA) prüfen wollten, ob die Zusammenarbeit so die beste ist, oder eben nicht.
Soweit so gut. Thema klar. Gruppe bekannt. Aber ich hatte doch sehr viel Respekt. Es war die erste ‘Nichtentwickler-Retro’ meines Lebens. Das Gros des Managements war vertreten, mein direkter Chef. Aber kneifen ist nicht mein Ding, daher musste ich Ideen entwickeln. Ideen, wie ich an die Informationen ran komme, wie ich alle zur Teilnahme motiviere, ihnen vermitteln kann, dass sie offen sprechen können, um so schlussendlich mit dieser Gruppe Lösungen zu erarbeiten.

Was habe ich also gemacht?

Ich habe vorab mit zwei oder drei Mitgliedern des LA gesprochen und ihr Verständnis des Zielbilds der Retro abgeholt. Das war im Prinzip recht gleich, die Informationen, die daneben noch abfielen, fand ich daher dann schon spannender. Alle, mit denen ich sprach, wollten Veränderungen. Die einen kleinere, die anderen größere, aber alle wollten sie sie. Eigentlich gut, oder? Dachte ich mir auch und begann dann zu überlegen, wie ich mit den mir bekannten Mitteln bei der für mich neuen Gruppe zu einem Ziel gelangen kann.
Ich durchforstete das Netz, las Bücher zu Retrospektiven (z. B. ‘Agile Retrospectives’ von Esther Derby und Diana Larsen), nutzte den Retromaten (retromat.org) und war am Ende frustriert und verzweifelt. Nichts fand ich wirklich passend. Ich musste selbst kreativ werden.
Also wieder zum Anfang: Wer gehörte zur Gruppe? Was war das Ziel? Wie komme ich dorthin?

Zum Glück bin ich nun nicht die einzige Projektleiterin bzw. Scrum Master in der tarent. Ich sprach mit zwei Kollegen, wir haben zusammen überlegt, hatten uns was zurecht gelegt. Aber so richtig war es das noch nicht. Ich konnte mich selbst noch nicht damit identifizieren. Das macht die Moderation für mich am Ende immer schwierig. Daher ließ ich ein paar Tage ins Land gehen. Um genau zu sein eigentlich alle Tage bis zum Termin. Erst am Tag vorher kam mir die Idee. Die Ausarbeitung ging dann erstaunlich flott, die Kollegen fanden es gut.

Die Retrospektive

Da es in der Gruppe Teilnehmer gab, die das Format der Retro nicht kannten, erläuterte ich zuerst die Bedeutung einer Retro und die Regeln. Wir erweiterten diese gemeinsam und ich hatte ihre Aufmerksamkeit soweit, dass wir direkt in eine kleine Übung zum Warmwerden starten konnten. Direkt danach verteilte ich Zettel auf dem Tisch und erklärte die Aufgabe.

Der Perspektivwechsel

Jede Person in dieser Runde hat ein bestimmtes Interesse, das sie vertreten will und teils auch muss. Damit ich an die Informationen komme, wie wir eine Veränderung herbeiführen können, mussten die Teilnehmenden sich verändern. Zumindest für eine kurze Zeit. Ich ließ sie in eine andere Rolle schlüpfen.
Alle mussten sich einen Rollenzettel nehmen und sich letztlich nicht nur in die andere Rolle, sondern auch in die andere Person hineinversetzen. Sie sollten für eine kurze Zeit (und das in Stillarbeit allein) ein anderer sein. In dieser Zeit sollten sie prüfen, was dem anderen wohl an der Durchführung des Lenkungsausschusses gefiel, störte, egal war. Einige fanden das glaube ich zu Beginn eher komisch und seltsam und haben sich sehr schwer getan (hätte ich vermutlich auch). Aber ich war überzeugt davon, dass wir damit nicht nur mehr und bessere Informationen bekommen würden, sondern auch ein besseres Verständnis für die anderen und ihre Bedürfnisse geschaffen wird. Die Ergebnisse zeigten, dass viele sich in der kurzen Zeit wirklich ernsthaft mit ihrer neuen Rolle identifiziert haben und der Perspektivwechsel auch noch mal ein Augenöffner war. Gerade als es dann um die Vorstellung der Probleme ging. Sofern die eingenommene Rolle tatsächlich auch im Raum vertreten war, gab es auch viel Kopfnicken dazu. Natürlich nicht ausschließlich, aber das wäre auch eine nicht zu erwartende Utopie gewesen. Einiges führte auch zu Lachern. Sehr schön auflockernd, wie ich fand.
Insgesamt half diese Übung aber auch den Blick zu schärfen, Verständnis zu haben und in der Lage zu sein andere Problemräume zu betrachten.

Im weiteren Verlauf wurden dann in Kleingruppen Lösungen erarbeitet, die am Ende dazu führten, dass der Lenkungsausschuss, wie er zu dem Zeitpunkt war, einmal auf links gedreht wurde.
Das große Meeting wurde geschnitten in zwei. Ein kurzes, wöchentliches Meeting, nennen wir es das ‘LA weekly’, mit Highlights, Chancen, offenen Expert Service-Möglichkeiten, interessanten Projektkurzstatus. Das Zweite ist eine Erweiterung eines der Geschäftsführermeetings um die Themen die in der großen Runde diskutiert oder vorgestellt werden müssen. Das sind z.B. Go / No-Go Entscheidungen für Ausschreibungsteilnahmen oder Vorstellung neuer Projektchancen.
Und es wurde sich dafür entschieden für das Weekly eine Moderation anzufragen. Seitdem wechseln sich zwei Mitglieder aus unserer Projektleiterrige jeden Dienstag ab.

Ich denke im Großen schon recht erfolgreich. Aber wenn ich so darüber nachdenke, wäre es vermutlich mal wieder Zeit für eine Retro in dieser Gruppe.